Pflegekräfte binden: Warum moralische Integrität wichtiger ist als ein höheres Gehalt

Frau sind frustriert auf dem Boden

Autor

Isha Pandit

Bettina Meyer

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Der Fachkräftemangel ist ein allgegenwärtiges Thema, das die Gesundheits- und Sozialbranche besonders stark betrifft. Insbesondere in der Pflege fehlt es an qualifizierten Kräften: Auf 100 offene Stellen kommen lediglich 60 arbeitssuchende Pflegekräfte – insgesamt fehlen rund 25.000 Fachkräfte. Zugleich zählen die Arbeitsplatzbedingungen und die Arbeitszufriedenheit von Pflegekräften seit vielen Jahren zu den größten Herausforderungen unter allen Berufsgruppen. Politische Diskussionen konzentrieren sich bei der Suche nach Lösungen für diese enorme Herausforderung fast ausschließlich auf den Aspekt der Bezahlung. Und während einer gerechteren Vergütung für die gesellschaftlich hochrelevante Aufgabe von Pflegepersonal definitiv angebracht ist, sollte dieser Faktor dennoch nicht isoliert betrachtet werden. Ein höheres Gehalt kann nicht die einzige Lösung sein, um das Employee Engagement von Fachkräften zu steigern. In der Realität muss deutlich mehr passieren, damit Pflegekräfte gesund und gerne bei ihrem Arbeitgeber und in ihrem Beruf verbleiben.

Im Zeitraum von 2018-2022 hat Great Place to Work® rund 28.000 Pflegekräfte befragt. Durch die Analyse der Benchmark-Studie „Beste Arbeitgeber Gesundheit und Soziales“ haben wir die Situation von Pflegekräften anhand der Daten näher beschrieben und Einflussgrößen auf das Employee Engagement von Pflegekräften identifiziert. Neben unzureichenden Arbeitsbedingungen zeigten sich hier sogenannte „moralische Verletzungen“ als eine der größten Einflussgrößen. Der nachfolgende Beitrag gibt Einblicke in unserer Studie1 und die ermittelten Ansatzpunkte für die Verbesserung der Arbeitssituation von Pflegekräften.

Employee Engagement – eine besondere Herausforderung im Bereich Pflege

Engagement von Mitarbeitenden manifestiert sich im Arbeitskontext insofern, als dass Mitarbeitende ihr Bestes geben können und wollen, langfristig im Unternehmen verbleiben und ihren Arbeitgeber gern weiterempfehlen. Ein starkes Engagement von Mitarbeitenden wird nicht nur mit dem wirtschaftlichen Erfolg von Organisationen, sondern auch der langfristigen Gesundheit der Mitarbeitenden in Verbindung gebracht. Gerade im Pflegebereich ist die Förderung von Employee Engagement besonders herausfordernd, da Pflegekräfte in ihrem Arbeitsalltag sowohl hohe physische Arbeitsbelastungen als auch emotionale Anforderungen bewältigen müssen. Der bestehende hohe Personalmangel an Pflegefachkräften verschärft die Situation zusätzlich und verdeutlicht den Bedarf für eine starke Verbindung zwischen Mitarbeitenden und Organisation im Gesundheitswesen. Für das dauerhafte Ermöglichen einer motivierten und vertrauensvollen Zusammenarbeit, müssen Arbeitgebende entsprechende Bedingungen schaffen und sicherstellen.

Ansatzpunkte für Veränderung – Treiber für das Engagement von Pflegekräften

Aus dem aktuellen Forschungsstand sowie öffentlichen Diskussionen lassen sich verschiedene Themen ableiten, die mit der problematischen Arbeitssituation von Pflegekräften im Zusammenhang stehen. Folgende Faktoren wurden als mögliche Ansatzpunkte zur Verbesserung der Situation von Pflegekräften identifiziert und in unserer Studie näher analysiert: 

  • Arbeitsbedingungen: Hierbei geht es um die oftmals problematischen Rahmenbedingungen im Alltag von Pflegefachkräften: eine unzureichende Bezahlung steht hohen Belastungen und Arbeitszeiten, die eine Vereinbarkeit von Beruf und Privatem erschweren, gegenüber. Auch berufliche Entwicklungschancen spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle für das Engagement der Mitarbeitenden.  
  • Führung und Arbeitsplatzkultur: Im Rahmen einer guten Arbeitsplatzkultur sollte den Mitarbeitenden Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht werden, damit Teams gut und gerne zusammenarbeiten können. Es ist Aufgabe von Führungskräften, eine exzellente Führung im Arbeitsalltag zu gewährleisten und die interne Verteilung von Informationen oder Koordination, z. B. von Arbeitsplänen, entsprechend zu gestalten. 
  • Moralische Verletzungen: Pflegekräfte leisten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft. Moralische Konflikte zwischen den persönlichen Überzeugungen und deren Verletzung im Arbeitsalltag spielen in diesem Bereich eine große Rolle. Für das Engagement von Pflegekräften ist es elementar, dass sie ihre Arbeit auch entsprechend ihrer persönlichen Vorstellungen an eine sehr gute Qualität von Pflege ausführen können. In diesem Zusammenhang geht es auch um ehrliche Geschäftspraktiken, welche die Führungskräfte selbst vorleben sollten und von den Pflegekräften vertretbar sind.   

Was wünschen sich Pflegekräfte tatsächlich von ihren Arbeitgebern?

Im Rahmen der Great Place to Work® Mitarbeiterbefragung haben die Teilnehmenden die Möglichkeit, Änderungen zu benennen, die ihre Organisation zu einem besseren Arbeitgeber machen würden. Zahlreiche Mitarbeitende nutzen diese Chance. Die Antworten aus der Gesundheitsbranche weichen deutlich von denen aus anderen Branchen ab. Pflegekräfte fordern vor allem mehr Personal, um ihre Arbeit effektiv und mit weniger Belastung ausführen zu können, da der Personalmangel als große Herausforderung im eigenen Arbeitsalltag wahrgenommen wird. Mehr Personal ist dabei vielen sogar wichtiger als eine bessere Bezahlung. Aktuell stehen viele Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser jedoch vor genau dieser Herausforderung: von Fachkräften als attraktiver Arbeitsplatz angesehen zu werden. 

Wie bereits eingangs ausgeführt möchten wir festhalten, dass eine gerechte Bezahlung – insbesondere in Bereich der Pflege – enorm wichtig ist. Aus den Ergebnissen unserer Befragung geht jedoch hervor, dass die Reduzierung von Arbeitsbelastungen im Bereich der Arbeitsbedingungen und die Minimierung von moralischen Verletzungen im Vordergrund stehen, um die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern. 

Relevanter Einfluss der moralischen Verletzungen

Unsere Analysen konnten bestätigen, dass die Identifikation von Pflegekräften mit ihrer beruflichen Tätigkeit im Vergleich zu anderen Berufsgruppen besonders hoch ist – ihnen ist klar und wichtig, warum Sie tun, was sie tun und inwiefern ihre Tätigkeit einen Beitrag zur Gesellschaft leistet. Sofern Pflegekräfte bei der Ausübung der per se als sinnhaft empfundenen Tätigkeiten stark eingeschränkt werden, entstehen moralische Verletzungen:  

Die Arbeit im engen Kontakt mit Menschen in oftmals vulnerablen Situationen geht mit hohen ethischen Standards und moralischen Ansprüchen an die eigene Arbeit einher. Viele Pflegekräfte erleben täglich Zeitdruck durch ein hohes Arbeitspensum. Auch Personalausfälle im Team oder als unsinnig empfundene Prozesse gehören zum Berufsalltag. Oft müssen sie dadurch unvermeidbare Abstriche bei der Qualität oder Quantität ihrer Arbeit machen. Im Gegensatz zu vielen anderen Berufsbildern, kann eine Aufgabe mit niedrigerer Priorität in der Pflege beispielsweise nicht einfach auf den nächsten Arbeitstag verschoben werden. Zusammengefasst sind Pflegekräfte häufig Konflikten zwischen den von ihnen vertretenen persönlichen Wertvorstellungen bzw. ihrem Berufsethos und der tatsächlichen Realisierbarkeit dieser Ansprüche im Arbeitsalltag ausgesetzt.

Moralische Verletzungen vermeiden und heilen

In unseren Studienergebnissen zeigen sich moralische Verletzungen ebenso als eine Kluft zwischen Führung und Mitarbeitenden. Bei Themen, die das Berufsethos betreffen, wird eine erhebliche Distanz zwischen den Einschätzungen von Pflegepersonal und Ärzt:innen und der Bewertung aus Sicht von Führungskräften deutlich. Zurückzuführen ist dies vermutlich auf den eklatanten Zielkonflikt zwischen den Berufsgruppen: Pflegekräfte und Ärzt:innen möchten kranke und pflegebedürftige Menschen bestmöglich versorgen – aus Führungssicht steht hingegen die Verfolgung betriebswirtschaftlicher Ziele im Fokus. Dieser moralische Konflikt scheint in Krankenhäusern sogar noch deutlich stärker ausgeprägt zu sein als in Pflegeeinrichtungen. 

Moralische Verletzungen weisen unseren Auswertungen zufolge eine besonders hohe Relevanz für das Engagement von Pflegekräften auf. Es ist daher essenziell für Einrichtungen, die ihre Arbeitsplatzkultur dahingehend verbessern wollen, diesen Faktor zu adressieren. Wenn es gelingt, den genannten Zielkonflikt zu adressieren und eine gute Balance zwischen Berufsethos und Wirtschaftlichkeit zu finden, werden Organisationen ihr Employee Engagement erfolgreich steigern können. Die durchgeführte Studie zur Situation von Pflegekräften unterstreicht deren schwierige Situation. Allerdings gibt es einige Ansatzpunkte für gezielte Maßnahmen, um das Employee Engagement im Pflegebereich zu fördern und das Berufsfeld langfristig attraktiver zu gestalten.  

Informieren Sie sich darüber hinaus gern in unserem Studienreport und erhalten Sie weitere Einblicke in das Thema „Arbeitsplatzkultur und Engagement in der Pflege“! 

Entdecken Sie in unserem Report die aufschlussreichen Ergebnisse der Great Place to Work® Mitarbeiterbefragungen aus den Jahren 2018 bis 2022 in der Pflegebranche. Mit Daten von rund 28.000 Teilnehmenden beleuchten wir die entscheidenden Faktoren, die das Engagement von Pflegekräften im Vergleich zu anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen beeinflussen. 

Lassen Sie sich inspirieren und nutzen Sie diese wertvollen Erkenntnisse, um die Arbeitszufriedenheit und Motivation in Ihrer Pflegeeinrichtung zu fördern! 

Wenn Sie mehr über das Great Place To Work® Consulting erfahren wollen, klicken Sie hier!

Mehr Informationen zum Consulting und Arbeitsplatzkultur

Veröffentlichung: Frank Hauser, Karsten Schulte-Deußen & Irene Pfaff. (2022). Kritische Arbeitsbedingungen, mäßige Führung oder moralische Verletzungen: Was fehlt Pflegekräften wirklich? Wirtschaftspsychologie (3), S. 59 – 71. 

Hier geht es zum Studienreport!

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